Krieg und Frauen
Der Erste Weltkrieg veränderte nicht nur das Leben zahlreicher Männer auf drastische Weise, sondern stellte auch die Frauen vor neue Herausforderungen. Viele verfügten nach dem Einrücken der Männer zum ersten Mal über eigenes Geld, das sie alleinverantwortlich zu verwalten hatten. Sie galten forthin als Ernährerin und Vorstand der Familie, und sie machten die Erfahrung, dass auch sie in der Lage sind, Arbeiten zu verrichten, die zuvor als rein männliche Tätigkeiten betrachtet worden waren. Aus den Ehefrauen wurden Kriegerfrauen, Witwen, Land- und Industriearbeiterinnen, alleinerziehende Mütter und sexuell aktive Menschen.
Die neuen Freiheiten machten die Frauen zu Objekten besonderer behördlicher Fürsorge und Beobachtung. Unterstützungszahlungen, Beratungsangebote, Aufklärung über die Verhütung sexuell übertragbarer Krankheiten und andere Maßnahmen atmeten den Geist fürsorglicher Hinwendung des Staates für die Frauen, zeigten jedoch gleichzeitig das obrigkeitliche Misstrauen gegenüber der als verschwendungssüchtig, arbeitsfaul und unsittlich verdächtigten Kriegerfrau.
Eine Flut an Büchern und Broschüren erinnerte die Frauen an ihre traditionelle Rolle als Ehefrau und Mutter, die sie nach dem Krieg wieder klaglos einzunehmen hätten, und Industriebetriebe, die Frauen auf Männerarbeitsplätzen beschäftigten, ließen sich eine Klausel unterschreiben, wonach die Frau nach der Rückkehr der Soldaten ihren Arbeitsplatz wieder freizugeben hatte.
Auch politische Partizipation erhielten die Frauen nicht durch den Krieg. Während in Frankreich und Großbritannien überhaupt kein bzw. nur ein eingeschränktes Wahlrecht für Frauen verabschiedet wurde, hatte das Nachkriegsdeutschland ab 1919 zwar das volle Wahlrecht für Frauen; jedoch war dies weniger eine Folge des Krieges als vielmehr der Novemberrevolution. Das Weib schweige in der Gemeinde – so lautete der programmatische Titel einer Schrift unter vielen, die den öffentlichen Diskurs über die Frauen in der deutschen Kriegsgesellschaft maßgeblich bestimmten.
So brachte dieser Krieg vielen Frauen neben zahlreichen Entbehrungen und Problemen auch neue Möglichkeiten und vorher nicht gekannte Freiheiten. Insgesamt jedoch bremsten die Jahre 1914 bis 1918 eine bereits seit Jahrhundertbeginn stärker werdende Emanzipation der Frauen, indem diesen innerhalb der Kriegsgesellschaft wieder verstärkt Rollen und Funktionen zugewiesen wurden, die vor 1914 bereits als gesellschaftliche Konstruktion enttarnt und zur Diskussion gestellt worden waren.