Kriegsgefangenschaft

Foto: Hermann Rex, Deutsche Kriegsgefangene
Deutsche Kriegsgefangene in einem britischen Sammellager, fotografiert von Hermann Rex, veröffentlicht 1926
Deutsche Nationalbibliothek, Sammlung Erster Weltkrieg. Signatur: 1926 A 14878 - 3

Kriegs­ge­fan­gen­schaft

Nach mehrstündigem Marsch kamen wir in ein großes Zeltlager. […] Der Boden war Morast, innen war nichts, keine Decke, kein Brett, kein Stroh. Das war eines der vielen sogenannten Hungerlager direkt hinter der Front. […] Man konnte entweder stehen oder im Morast liegen, schlafen. […] Dreimal am Tag erhielt jedes Zelt eine große Schüssel voll Essen. Die Schüssel wurde auf die Erde gestellt, die acht Mann mussten sich ringsherum auf den Bauch legen und aus der Schüssel schlürfen, wie Hunde.

Martin Feuchtwanger: Zukunft ist ein blindes Spiel. Erinnerungen,veröffentlicht 1989

In vielen Krieg führenden Staaten waren die Militärbehörden im Sommer 1914 von einer kurzen Kriegsdauer ausgegangen, so dass kaum Vorkehrungen für die Unterbringung einer größeren Gefangenenzahl getroffen wurden. Die deutsche Militärführung beispielsweise veranschlagte die Zahl der kurzzeitig unterzubringenden Kriegsgefangenen nach den Erfahrungen des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 auf höchstens 160.000 Mann. Doch bereits zum Jahreswechsel 1914/15 hatten die deutschen Behörden 577.875 Kriegsgefangene zu versorgen.

Aus dieser bedeutenden Fehleinschätzung resultierten in einigen Ländern katastrophale Bedingungen in den Lagern. Die Unterkünfte waren verseucht durch Ungeziefer, und es mangelte an sanitären Ausstattungen und medizinischer Versorgung, so dass in den behelfsmäßigen Zeltlagern etwa des Deutschen Reiches und Russlands Epidemien wie Typhus, Fleckfieber und Ruhr rasch um sich griffen und bereits im ersten Kriegswinter sehr viele Todesopfer forderten.

Die Gefangenen kamen zunächst in provisorischen Behausungen unter. In Deutschland waren dies Zeltlager, in Großbritannien mussten die Soldaten in unbeheizten Pferdeboxen auf Stroh schlafen. Später wurden die Gefangenen in altern Kasernen, auf Schießplätzen, Schiffen oder in Holzbaracken untergebracht.

Die gefangenen Soldaten wurden im Laufe des Krieges in allen Ländern außer in Japan zum Arbeitseinsatz unter anderem in der Landwirtschaft, dem Bergbau und in der Industrie gezwungen. Den Kriegsgefangenen in Russland galt der Bau Murman-Bahn als das schwerste Schicksal. Die Offiziere jedoch erhielten eine Sonderbehandlung. Nach der Haager Landkriegsordnung von 1907 durften sie nicht zur Arbeit gezwungen werden.

Das Leben in den Lagern war geprägt von Monotonie, Langeweile und Heimweh. Um dieser Stacheldrahtkrankheit zu entkommen, entwickelten die Gefangenen ein reges gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben innerhalb der Umzäunungen. Sie gründeten Sportgruppen, legten Gemüsegärten an, unterhielten Bäckereien sowie Restaurants und betrieben Viehzucht. Mit ihrem Geld konnten sie zudem nicht nur in der Kantine einkaufen, sondern auch bei den üblichen Händlern vor Ort.

Zur kulturellen Beschäftigung wurden Theatergruppen ins Leben gerufen. Puppenspiel- und Gesangsgruppen sowie Lagerorchester bereicherten das Programm. Die Erstaufführung von Beethovens 9. Symphonie in Japan wurde durch das Lagerorchester Bando gegeben. Gefangene mit entsprechender Ausbildung organisierten für ihre Kameraden Unterrichts- und Fortbildungsveranstaltungen z.B. zur ostasiatischen Kultur. Das Publikationswesen blühte in eigenen Lagerdruckereien auf, die eigene Zeitungen und Bücher produzierten.

Insgesamt gerieten rund acht Millionen Menschen zwischen 1914 und 1918 in Kriegsgefangenschaft. Aus welchem Land ein Soldat stammte, welches Land ihn in Gefangenschaft nahm und in welches Lager er schließlich gelangte, sollte die Chancen seines Überlebens maßgeblich bestimmen.  Für viele Soldaten, vor allem aus Russland sowie den Mittelmächten, endete die Gefangenschaft erst 1922.

Galerie